Christusträger Bruderschaft

Mich auf den Weg machen

Sechs Wochen lang teilt Lydia Nachtigall aus Berlin unser gemeinsames Leben und Arbeiten in Ralligen. Mitte Juni kümmerte sie sich zwei Wochen lang speziell um die Pilger. Hier ihre Eindrücke:

Die Pilgerherberge Ralligen – © Br. Bodo Flach, 2013
Die Pilgerherberge Ralligen – © Br. Bodo Flach, 2013

Einen Pilgerweg gehen Menschen aus verschiedenen Gründen und mit sehr individuellen Motiven und Zielen: Burnout-Prävention, Selbstfindung, Krisenbewältigung, Kraft tanken, Ruhe finden, Natur und Abenteuer erleben etc. 

Eine Pilgerin, die in Ralligen pausierte, meinte, sie folge einer inneren Stimme. Schon länger habe sie auf dem Herzen den Jakobsweg zu gehen und dieser Gedanke habe sie nicht losgelassen, bis sie es dann endlich in Angriff nahm. Wichtig war für sie dabei allein zu gehen, ohne Freunde oder Familie. Obwohl es in ihrem Heimatort viel Gerede gab und sich Angehörige um sie sorgten, sei sie ängstlich aber entschlossen losmarschiert. 

Andere Pilger berichten Ähnliches. Viele folgen einer inneren Stimme und gehen parallel zu den »äußeren« kilometerlangen Etappen, die sie täglich zurücklegen, einen »inneren« Weg. Manche nennen es Selbstreflexion oder bezeichnen es als die Suche nach innerer Ruhe und Frieden – jeder hat hier seine eigene Sprache und findet eigene Worte.

Freiraum für Gott

Lydia Nachtigall als Pilgerbetreuerin – © Anna Herboldsheimer, 2018

Dabei entdecke ich etwas, was mich mit den Pilgern verbindet. Auch ich gehe einen inneren Weg, den ich nur allein gehen kann. Auch ich bin einer inneren Stimme gefolgt und nach Ralligen gekommen. Nicht nur um Pilger zu betreuen und als Helferin im Haus mit anzupacken oder im Kirschbaum Kirschen zu essen, wobei einige auch im Eimer landen. Auch ich bin gekommen, um meine Alltagsroutine und Geschäftigkeit einmal zu unterbrechen, verbunden mit der Bitte: Gott fülle den frei gewordenen Raum und begegne mir neu.

Erlebt habe ich, dass Gott hier förmlich auf mich gewartet hat. Vom ersten Tag an hat er sehr persönlich zu mir gesprochen und mich liebevoll da berührt, wo ich es gebraucht habe. Die »Selbstunterbrechung« und das mich auf den Weg machen kann dabei notwendig sein. Manchmal auch der Abstand zu Familie, Freunden oder der vertrauten Umgebung. Nur so können wir der Stimme zu folgen und dem begegnen, der uns ruft und einen ganz eigenen Weg mit uns gehen möchte. 

Ralligen – ein Ort mit besonderer Atmosphäre – © Clemens Henker, 2015

Ein Pilger nannte Ralligen in diesem Sinne einen spirituellen Ort mit besonderer Atmosphäre. Auch Gäste und Pilger, die mit Kirche und christlichen Institutionen nicht viel anfangen können, spüren dieses Besondere hier. Manche von ihnen sind sehr dankbar und innerlich bewegt, weil sie praktische Fürsorge und Versorgung erleben. Aber sie schätzen auch die Anregung, Anteilnahme und Wertschätzung, die sie für ihren inneren Weg und ihre persönliche Suche erfahren – durch ein offenes Ohr, einen Zuspruch, ein Gebet oder einen Segen.

Einige Pilger und ihre persönlichen Geschichten beschäftigen mich noch nach Tagen. Ich bete für sie und wünsche ihnen, dass sie auf ihrem Weg Gott begegnen, ähnlich wie ich es hier erlebt habe: Gott, der bereits auf sie wartet, bei dem echtes ANKOMMEN möglich ist und der sie liebevoll empfängt. So herzlich, dass sie gern länger als eine Nacht in unserer Pilgerunterkunft bleiben. ☺

Lydia Nachtigall, 26.06.18

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